Samstag, 19. Dezember 2020

Meine Einschätzung zur laufenden KV Reform 2022

Als stellvertretender Geschäftsführer des aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes und Lehrer am Zentrum Bildung KV Aargau Ost in Baden, erhielt ich Gelegenheit im KV Magazin "TOP News" 3/2020 S. 13/14 unter der Rubrik "Meinungen" meine Einschätzung zur laufenden KV Reform 2022, welche unter dem Motto "Fit für die Zukunft" läuft, zu veröffentlichen.

Massive Änderungen für die Lehrpersonen

„Fit für die Zukunft!“ dies das Ziel der „KV Reform 2022“. Eine Reform ist aufgrund des Strukturwandels, insbesondere der Digitalisierung, unbestritten. Eine genaue Betrachtung des Bildungsplanentwurfs ist aber irritierend: Da ist beispielsweise explizit von einer Landessprache die Rede, im Aargau also Deutsch. Ein Fach, welches es gemäss Bildungsplan gar nicht mehr geben wird. Weiter ist explizit von grundlegendem Wissen die Rede. Was damit gemeint ist, zeigt wiederum der Bildungsplan. Rechnungswesen wird nur noch rudimentär angeschaut. Fächer gibt es keine mehr, stattdessen gibt es fünf Kompetenzbereiche.Bedeutsam wird der Bereich Kommunikation. Da sind Verkaufsgespräche zu trainieren, non-verbale Signale zu deuten und sogar Small-talk ist neu im Lehrplan drin. Kommuniziert wird dabei auf Deutsch und Englisch. Französisch ist nur noch als Wahlfach vorgesehen. 
 
Diese Reform dürfte somit massive Veränderungen für die Lehrpersonen und die Schulen bringen. Trotzdem ist ein Einbezug nur bescheiden vorgesehen. 
Dass seit dem 31. Juli 2020 Bildungsplanentwürfe vorliegen, erfuhren die Lehrpersonen eher zufällig. Es fand eine Anhörung der Branchenverbände, nicht aber der Schulen statt. Diese dürfen sich offenbar erst im kommenden Frühjahr im Rahmen einer Vernehmlassung des Staatsekretariats für Bildung Forschung und Innovation SBFI äussern. Die Mitsprache der Schulen beschränkte sich auf einige wenige Vertreter im Rahmen einiger weniger Kommissionen. 
 
Zwar ist es üblich, dass für eine solche Reform erst im Rahmen von Expertengremien diskutiert wird. Es befremdet aber, dass die Schulen als einer der drei Lernorte, nur geringe Mitsprache haben. Es scheint, dass die Schulen und Lehrpersonen möglichst vor vollendete Tatsachen gestellt werden sollen, die man dann bestenfalls noch leicht justieren kann. 
 
Immerhin sind jetzt ein paar Arbeitsgruppen eingesetzt worden. Nach ersten Sitzungen scheint es aber, dass diese nicht mehr allzu viel bewegen können.
  
Fachstudium noch notwendig? 
 
Bisher galt die Überzeugung, dass eine fachlich hochwertige Ausbildung, fachlich hochwertig ausgebildete Lehrpersonen braucht. Entsprechend unterrichten in der KV-Ausbildung, Personen mit einem fachbezogenen Hochschulstudium. Man scheint jetzt von dieser Überzeugung abzuweichen. 
Die Fächer Deutsch und Korrespondenz (bisher integriert in IKA) existieren nicht mehr. Stattdessen wird viel Wert auf Selbstkompetenz und Kommunikation gelegt. 
 
Es stellt sich die Frage, wer zukünftig diese Kompetenzbereiche unterrichtet? Handelslehrpersonen könnten mit Weiterbildungen fit gemacht werden, da sie den betriebswirtschaftlichen Hintergrund bereits haben. Aus sozialen Gründen, ist es aber denkbar, dass Schulen ihre nicht mehr gebrauchten Germanisten*innen und Romanist*innen zu Kommunikationslehrpersonen umfunktionieren. Teilweise gibt es tatsächlich Überschneidungen. Wie weit die Schulen bei der konkreten Umsetzung des Bildungsplans Freiheiten haben, ist offen.
 
Die wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Ausbildung wird massiv reduziert. Der Bildungsplan spricht beispielsweise von „…andern gängigen Verträgen…“, dann wird Arbeit, Miete, Leasing genannt. Im Zentrum steht neu der Lehrvertrag. Die Taxonomiestufe ist K2, also erklären und begründen. Die Aktiengesellschaft wird hingegen kein einziges Mal erwähnt.  
 
Geht die fachwissenschaftliche Ausbildung nicht mehr über das Niveau einer gewerblichen ABU-Ausbildung hinaus, wird einerseits das Unterrichten für studierte Handelslehrpersonen unattraktiv, anderseits gibt es für Schulleitungen keinen Grund mehr teure Fachleute einzustellen, wenn günstigere ABU-Lehrkräfte ebenfalls reichen. Beides führt eindeutig zu einer Abwertung der KV-Lehre. Die Folge wird sein, dass leistungsstarke Lernende entweder einen anderen Beruf beispielsweise Mediamatiker*innen ergreifen oder den gymnasialen Weg einschlagen. 
 
Mittelfristig dürfte die Berufsmatura ebenfalls abgewertet werden, weil nur so die Durchlässigkeit innerhalb der kaufmännischen Ausbildung gewährleistet ist. 
 
Die schulisch organisierte Grundbildung ist im Moment offenbar überhaupt nicht geregelt. Es scheint, dass sie mehr oder weniger vergessen ging. 
 
Fehlende Grundlagen schaden allen 
 
Eine solche Entwicklung ist auch nicht im Interesse der Lehrbetriebe. Für sie ist die angedachte Reform auf den ersten Blick attraktiv. So sollen Handlungskompetenzen aufgebaut und die KV-Lehre zu einer Art „on-the-job- Ausbildung“ umgebaut werden. Der Lehrbetrieb soll der wichtigste Lernort sein, was attraktiv tönt, von den Lehrbetrieben aber mehr abverlangt. Ob Betriebe dies leisten können und wollen, wird sich zeigen. 
 
Längerfristig werden es die Unternehmen negativ spüren, wenn den jungen Berufsleuten die theo- retischen Grundlagen fehlen. 
 
Diese Grundlagen sind umso wichtiger, als es im Erwachsenenbildungsbereich heute schon eine Vielzahl von spezifischen Weiterbildungen, gibt, die man basierend auf einer breiten kaufmännischen Allgemeinbildung, erfolgreich absolvieren kann. Es darf bezweifelt werden, dass die Qualität dieser Weiterbil- dungen gehalten werden kann, wenn Kursteilnehmende mit nur noch rudimentärem Fundament zu solchen Weiterbildungen antreten. 
 
Wenn zukünftig die Lernenden nur noch lernen, was in „ihrem“ Betrieb gebraucht wird, werden sie noch stärker als bisher auf eine Branche oder gar auf ein Unternehmen festgelegt. Aufgrund eines sich beschleunigten Strukturwandels ist aber genau das Gegenteil nötig: Lernende sollten möglichst breit ausgebildet werden. Bisher war dies der Fall. Der Strukturwandel wurde gut gemeistert, die Schweizer Erwerbsquote ist hoch, die Arbeitslosigkeit tief. 
 
Notwendigkeit einer Reform ist gegeben 
 
Dass Verkaufsgespräche, Prozess- und Projektmanagement neu prominent im Lehrplan vertreten sind, ist nachvollziehbar. Es stellt sich aber die Frage, ob solche Themen nicht, wie bisher, in den überfachlichen Kursen bessern aufgehoben sind. Lehrbetriebe sind sehr unterschiedlich, weshalb eine branchenspezifische Ausbildung im Bereich Prozessmanagement oder Verkauf sinnvoller erscheint.
 
Ein gestraffter Lehrplan ist vertretbar, wenn dadurch Lernformen, wie selbstorganisiertes Lernen oder Projektunterricht, gefördert werden. Tatsächlich orientiert sich der aktuelle Lehrplan stark an Detail- wissen, welches viele Lernende nur ungenügend in die Praxis übertragen können. Jahrespromotionen könnten ebenfalls mehr Spielraum für Projekte und Praxis- bezüge bringen. 
 
Eine Verlängerung der Lehre um ein Jahr ist politisch wohl chancenlos, würde den höheren Ansprüchen an Kaufleute aber gerecht werden.
  
Solche „alternativen“ Unterrichtsmethoden können Kompetenzen, die für Kaufleute zukünftig zentral sein dürften, tatsächlich fördern. Solcher Unterricht muss sich aber ebenfalls an klaren Zielen und dem Aufbau von einem für die kaufmännische Tätigkeit notwendigen Grundstock an Fachwissen bzw. Fachkompetenzen orientieren. Würde man so reformieren, bräuchte man weiterhin hochqualifizierte Lehrpersonen und würde die Ausbildung tatsächlich fit für die Zukunft.
 
Stattdessen sind sogar die Lernziele zur Digitalisierung bescheiden und beschränken sich im Wesentlichen auf Anwendungen. App-Programmierung beispielsweise ist kein Lernziel. 
 
Weiterbildung und Nachbesserung notwendig
 
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist positiv zu werten, dass die Lektionenzahl konstant bleiben soll. Die Lehrpersonen müssen aber definitiv weitergebildet werden. Davon ist momentan nichts zu sehen. Die Idee die Reform bereits im August 2022 einzuführen, scheint abenteuerlich und dürfte der Qualität ebenfalls abträglich sein.
 
Der vorliegende Bildungsplanentwurf muss dringend nachgebessert werden. Sonst wird die Lehre sowohl für Lehrpersonen, wie für Lernende abgewertet. Das Ziel „fit für die Zukunft“ wird aktuell verfehlt.
 
 
 
Update: Offenbar wurde kürzlich entschieden, dass Französisch die erste Fremdsprache sein solle.