Als stellvertretender Geschäftsführer des aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes und Lehrer am Zentrum Bildung KV Aargau Ost in Baden, erhielt ich Gelegenheit im KV Magazin "TOP News" 3/2020 S. 13/14 unter der Rubrik "Meinungen" meine Einschätzung zur laufenden KV Reform 2022, welche unter dem Motto "Fit für die Zukunft" läuft, zu veröffentlichen.
Massive Änderungen für die Lehrpersonen
„Fit für die
Zukunft!“ dies das Ziel der „KV Reform 2022“. Eine Reform ist aufgrund des
Strukturwandels, insbesondere der Digitalisierung, unbestritten. Eine genaue
Betrachtung des Bildungsplanentwurfs ist aber irritierend: Da ist beispielsweise explizit von einer Landessprache die Rede, im Aargau also Deutsch.
Ein Fach, welches es gemäss Bildungsplan gar nicht mehr geben wird. Weiter ist explizit von grundlegendem Wissen die
Rede. Was damit gemeint ist, zeigt wiederum der Bildungsplan. Rechnungswesen
wird nur noch rudimentär angeschaut. Fächer gibt es keine mehr, stattdessen
gibt es fünf Kompetenzbereiche.Bedeutsam wird der Bereich Kommunikation. Da sind
Verkaufsgespräche zu trainieren, non-verbale Signale zu deuten und sogar
Small-talk ist neu im Lehrplan drin. Kommuniziert wird dabei auf Deutsch und
Englisch. Französisch ist nur noch als Wahlfach vorgesehen.
Diese Reform dürfte somit massive Veränderungen für die
Lehrpersonen und die Schulen bringen. Trotzdem ist ein Einbezug nur bescheiden
vorgesehen.
Dass seit dem 31. Juli 2020 Bildungsplanentwürfe vorliegen, erfuhren die Lehrpersonen eher zufällig. Es fand eine Anhörung der
Branchenverbände, nicht aber der Schulen statt. Diese dürfen sich offenbar erst
im kommenden Frühjahr im Rahmen einer Vernehmlassung des Staatsekretariats für
Bildung Forschung und Innovation SBFI äussern. Die Mitsprache der Schulen
beschränkte sich auf einige wenige Vertreter im Rahmen einiger weniger
Kommissionen.
Zwar ist es üblich, dass für eine solche Reform erst im Rahmen von
Expertengremien diskutiert wird. Es befremdet aber, dass die Schulen als einer
der drei Lernorte, nur geringe Mitsprache haben. Es scheint, dass die Schulen
und Lehrpersonen möglichst vor vollendete Tatsachen gestellt werden sollen, die
man dann bestenfalls noch leicht justieren kann.
Immerhin sind jetzt ein paar Arbeitsgruppen eingesetzt
worden. Nach ersten Sitzungen scheint es aber, dass diese nicht mehr allzu viel
bewegen können.
Fachstudium
noch notwendig?
Bisher galt die Überzeugung, dass eine fachlich hochwertige Ausbildung, fachlich hochwertig ausgebildete Lehrpersonen braucht.
Entsprechend unterrichten in der KV-Ausbildung, Personen mit einem
fachbezogenen Hochschulstudium. Man scheint jetzt von dieser Überzeugung
abzuweichen.
Die Fächer Deutsch und Korrespondenz (bisher integriert
in IKA) existieren nicht mehr. Stattdessen wird viel Wert auf Selbstkompetenz
und Kommunikation gelegt.
Es stellt sich die Frage, wer zukünftig diese
Kompetenzbereiche unterrichtet? Handelslehrpersonen könnten mit
Weiterbildungen fit gemacht werden, da sie den betriebswirtschaftlichen
Hintergrund bereits haben. Aus sozialen Gründen, ist es aber denkbar, dass
Schulen ihre nicht mehr gebrauchten Germanisten*innen und Romanist*innen zu
Kommunikationslehrpersonen umfunktionieren. Teilweise gibt es tatsächlich
Überschneidungen. Wie weit die Schulen bei der konkreten Umsetzung des
Bildungsplans Freiheiten haben, ist offen.
Die wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Ausbildung
wird massiv reduziert. Der Bildungsplan spricht beispielsweise von „…andern
gängigen Verträgen…“, dann wird Arbeit, Miete, Leasing genannt. Im Zentrum
steht neu der Lehrvertrag. Die Taxonomiestufe ist K2, also erklären und
begründen. Die Aktiengesellschaft wird hingegen kein einziges Mal erwähnt.
Geht die fachwissenschaftliche Ausbildung nicht mehr über
das Niveau einer gewerblichen ABU-Ausbildung hinaus, wird einerseits das
Unterrichten für studierte Handelslehrpersonen unattraktiv, anderseits gibt es
für Schulleitungen keinen Grund mehr teure Fachleute einzustellen, wenn
günstigere ABU-Lehrkräfte ebenfalls reichen. Beides führt eindeutig zu einer
Abwertung der KV-Lehre. Die Folge wird sein, dass leistungsstarke Lernende
entweder einen anderen Beruf beispielsweise Mediamatiker*innen ergreifen oder
den gymnasialen Weg einschlagen.
Mittelfristig dürfte die Berufsmatura
ebenfalls abgewertet werden, weil nur so die Durchlässigkeit innerhalb der
kaufmännischen Ausbildung gewährleistet ist.
Die schulisch organisierte Grundbildung ist im Moment
offenbar überhaupt nicht geregelt. Es scheint, dass sie mehr oder weniger
vergessen ging.
Fehlende
Grundlagen schaden allen
Eine solche Entwicklung ist auch nicht im Interesse der
Lehrbetriebe. Für sie ist die angedachte Reform auf den ersten Blick attraktiv.
So sollen Handlungskompetenzen aufgebaut und die KV-Lehre zu einer Art
„on-the-job- Ausbildung“ umgebaut werden. Der Lehrbetrieb soll der wichtigste
Lernort sein, was attraktiv tönt, von den Lehrbetrieben aber mehr abverlangt.
Ob Betriebe dies leisten können und wollen, wird sich zeigen.
Längerfristig werden es die Unternehmen negativ spüren,
wenn den jungen Berufsleuten die theo- retischen Grundlagen fehlen.
Diese Grundlagen sind umso wichtiger, als es im
Erwachsenenbildungsbereich heute schon eine Vielzahl von spezifischen
Weiterbildungen, gibt, die man basierend auf einer breiten kaufmännischen
Allgemeinbildung, erfolgreich absolvieren kann. Es darf bezweifelt werden,
dass die Qualität dieser Weiterbil- dungen gehalten werden kann, wenn
Kursteilnehmende mit nur noch rudimentärem Fundament zu solchen Weiterbildungen
antreten.
Wenn zukünftig die
Lernenden nur noch lernen, was in „ihrem“ Betrieb gebraucht wird, werden sie noch stärker
als bisher auf eine Branche oder gar auf ein Unternehmen festgelegt. Aufgrund
eines sich beschleunigten Strukturwandels ist aber genau das Gegenteil nötig:
Lernende sollten möglichst breit ausgebildet werden. Bisher war dies der Fall.
Der Strukturwandel wurde gut gemeistert, die Schweizer Erwerbsquote ist hoch,
die Arbeitslosigkeit tief.
Notwendigkeit
einer Reform ist gegeben
Dass
Verkaufsgespräche, Prozess- und Projektmanagement neu prominent im Lehrplan
vertreten sind, ist nachvollziehbar. Es stellt sich aber die Frage, ob solche
Themen nicht, wie bisher, in den überfachlichen Kursen bessern aufgehoben sind.
Lehrbetriebe sind sehr unterschiedlich, weshalb eine branchenspezifische Ausbildung im Bereich Prozessmanagement oder Verkauf sinnvoller erscheint.
Ein gestraffter Lehrplan ist vertretbar, wenn dadurch
Lernformen, wie selbstorganisiertes Lernen oder Projektunterricht, gefördert
werden. Tatsächlich orientiert sich der aktuelle Lehrplan stark an Detail-
wissen, welches viele Lernende nur ungenügend in die Praxis übertragen können. Jahrespromotionen
könnten ebenfalls mehr Spielraum für Projekte und Praxis- bezüge bringen.
Eine Verlängerung der Lehre um ein Jahr ist politisch
wohl chancenlos, würde den höheren Ansprüchen an Kaufleute aber gerecht werden.
Solche „alternativen“ Unterrichtsmethoden können
Kompetenzen, die für Kaufleute zukünftig zentral sein dürften, tatsächlich
fördern. Solcher Unterricht muss sich aber ebenfalls an klaren Zielen und dem
Aufbau von einem für die kaufmännische Tätigkeit notwendigen Grundstock an
Fachwissen bzw. Fachkompetenzen orientieren. Würde man so reformieren,
bräuchte man weiterhin hochqualifizierte Lehrpersonen und würde die Ausbildung
tatsächlich fit für die Zukunft.
Stattdessen sind sogar die Lernziele zur Digitalisierung
bescheiden und beschränken sich im Wesentlichen auf Anwendungen.
App-Programmierung beispielsweise ist kein Lernziel.
Weiterbildung
und Nachbesserung notwendig
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist positiv zu werten, dass
die Lektionenzahl konstant bleiben soll. Die Lehrpersonen müssen aber
definitiv weitergebildet werden. Davon ist momentan nichts zu sehen. Die Idee
die Reform bereits im August 2022 einzuführen, scheint abenteuerlich und dürfte
der Qualität ebenfalls abträglich sein.
Der vorliegende Bildungsplanentwurf muss dringend
nachgebessert werden. Sonst wird die Lehre sowohl für Lehrpersonen, wie für
Lernende abgewertet. Das Ziel „fit für die Zukunft“ wird aktuell verfehlt.
Update: Offenbar wurde kürzlich entschieden, dass Französisch die erste Fremdsprache sein solle.