Samstag, 9. November 2019

Zeigemässes Lernen konkret - Grundsätzliche Überlegungen

Mein Beitrag zur Blogparade #Lernparade auf Twitter, organisiert von Netzlehrer @blume_bob
 
Zeitgemässes Lernen ist vielschichtig, pragmatisch, anspruchsvoll 

Vieles, was meines Erachtens zeitgemässes Lernen ist bzw. sein sollte, ist an vielen Schulen bereits Realität. Schulen ermöglichen umfassendes, vielseitiges Lernen. Jedoch sind die Rahmenbedingungen nicht immer genügend. Zu oft müssen sinnvolle Mehrarbeiten von Lehrpersonen «gratis» geleistet werden, um zeitgemässes Lernen zu ermöglichen. 

Zeitgemässes Lernen umfasst für mich mehrere Bereiche:
- Chancengleichheit
- Ressourcen
- Didaktische Vielfallt
- Leistung und Bewertung 

Zeitgemässes Lernen fördert die Chancengleichheit
Zeitgemässes Lernen ist ein Lernen, welches alle Schichten erreicht. Es sorgt für Chancengleichheit, verstanden als gleiche Startchancen und optimale Förderung. Dazu müssen Kinder bereits im Vorschulalter gefördert werden, es braucht genügend zahlbare Kitaplätze (Schweizer Problem, wo ein Platz pro Tag und Kind 100 Euro kostet). Anschliessend muss ein erstklassiges Schulangebot bereitgestellt werden, welches es Kindern und Jugendlichen ermöglicht, den passenden Weg zu finden. Das Bildungswesen ist durchlässig. Zeitgemässes Lernen hört nie auf. Weiterbildungen sind erwünscht und werden von Wirtschaft und öffentlicher Hand unterstützt. Lehrpersonen stehen im regelmässigen Austausch mit, Eltern und weitere Anspruchsgruppen damit Kinder und Jugendliche effektiv lernen können. Entsprechende Mehrarbeiten von Lehrpersonen werden abgegolten. Weil zeitgemässes Lernen alle Schichtgen erreichen soll, ist Inklusion das Ziel und auch hochbegabte Kinder/Jugendliche sollen zusätzlich gefördert werden. Die entsprechenden Ressourcen sind bereitzustellen, die Umsetzung erfolgt pragmatisch.  

Zeitgemässes Lernen bedingt genügend personelle und finanzielle Ressourcen
Die Schulen sind professionell geleitet. Die Schulleitungen bzw. Schulen haben genügend Ressourcen, die sie teilweise individuell einsetzen können. Es hat genügend gut ausgebildete Lehrkräfte, welche ein breites Repertoire an didaktischen Methoden und Konzepten kennen und diese situativ, abhängig vom Lernziel bzw. der zu erwerbenden Kompetenz und dem Alter der Lernenden, anwenden können. Weiter hat es genügend Spezialisten, wie Sozialarbeiter*innen, oder Heilpädagog*innen, die die Lehrteams ergänzen und entlasten. Weiterbildungen werden gefördert und unterstützt. Die Infrastruktur entspricht modernen pädagogischen, didaktischen und technischen Möglichkeiten, die unterschiedliche Lehr-Lernformen zulassen. Technische Hilfsmittel sind modern und funktionstüchtig. Ressourcen für Naturwissenschaften, Sport oder Werken sind vorhanden, die Räumlichkeiten modern. Digitale Medien können problemlos eingesetzt werden, WLAN etc. sind in notwendiger Stärke vorhanden. Ältere Kinder bzw. Jugendliche haben ein eigenes hybrides Notebook. Notwendige Software muss vorhanden sein. 

Zeitgemässes Lernen basiert auf unterschiedlichen didaktischen Konzepten und Methoden
Zeitgemässes Lernen ist pragmatisch. Inhaltlich werden damit, abhängig von Schulstufe und Schultyp, unterschiedliche Ziele verfolgt. Zeitgemässes Lernen soll zu breiter Allgemeinbildung und vertieftem Orientierungswissen führen. Sie sind das Rückgrat und bilden die Grundlage für das Erlernen weiterführender Kompetenzen. Zeitgemässes Lernen soll neben Wissen, die bekannten 4-K, die Konzentrationskompetenz, das logische und abstrakte Denken und die Problemlösungskompetenz aufbauen.  Dazu sind «neue» Lernformen, wie PBL, SOL, Projektlernen etc. insbesondere bei Vollzeitschulen der Sekundarstufe I und II wichtig, verdrängen «traditionellen» Unterricht aber nicht. Bei älteren Jugendlichen sind ferner Gruppenprojekte mit wenigen Präsenzlektionen und ansonsten ortsunabhängigem Arbeiten denkbar. Über digitale Medien halten sie Kontakt mit den Lehrpersonen und informieren über die Lernfortschritte. Digitale Medien erlauben auch den Austausch mit anderen Klassen in anderen Ländern und Kontinenten. Damit kann zeitgemässes Lernen Fremdsprachkompetenzen fördern. Immersionsunterricht ist ein sinnvoller Bestandteil von zeitgemässem Lernen, ebenso wie ein breites Freifächerangebot. Wiederum sind die entsprechenden Ressourcen notwendig. Klassenverbände können auch mal aufgelöst werden, bilden aber die Basis und vermitteln Orientierung, um in sicherem Rahmen zeitgemäss lernen zu können. Die Klassengrösse ist so, dass eine individuelle Betreuung der Kinder/Jugendlichen möglich ist. Mehrjahrgangsklassen werden gefördert, die entsprechenden personellen Ressourcen sind zur Verfügung zu stellen. 

Zeitgemässes Lernen ist leistungsorientiert und führt Bewertungen durch
Zeitgemässes Lernen wird mit regelmässigen, Bewertungen beurteilt. Dies sorgt dafür, dass Kinder/Jugendliche und Eltern den aktuellen Lernstand kennen und realistische schulische oder berufliche Laufbahnen wählen. Potenzielle Arbeitgeber haben verlässliche Angaben bezügliche Allgemeinbildung, Orientierungswissen und Kompetenzen, Fertigkeiten und Stärken einer/s Jugendlichen. Noten sind unschön, aber in der Gesellschaft akzeptiert und letztlich nötig. Sie können durch Kompetenzraster etc. ergänzt werden. Solche Zusatzaufwände sind abzugelten. 

Was zeitgemässes Lernen nicht ist
Zeitgemässes Lernen und Digitalisierung bedeuten eben so wenig, dass von Kindern/Jugendlichen nichts mehr gefordert werden darf und verbindliche Leistungsziele durch individuelle Beliebigkeit, ersetzt werden, wie, dass «Google» vertieftes Orientierungswissen und einen breiten Fachwortschatz ersetzen könnte. Solcherlei Experimente funktionieren vielleicht in ganz kleinen Nischen, wo hochmotivierte, ehrgeizige, (zahlungskräftige) Eltern ihre Kinder «Druck frei» zu Höchstleistungen motivieren. Auf die Volksschule können solche Modelle nicht übertragen werden.  Die meisten Kinder würden in solchen Systemen auf der Strecke bleiben. Ferner bauen potenzielle Arbeitgeber ihre Assessments aus und holen Bewertungen nach. Die Chancengleichheit fördert ein solches - sicher gutgemeintes - Lernen nicht.

Zeitgemässes Lernen konkret - Spezialfall kaufmännische Berufsfachschule


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An einer kaufmännischen Berufsfachschule, wie der unseren, funktioniert das konkrete zeitgemässe Lernen bezogen auf Lerninhalte und Kompetenzen ein bisschen anders.

Die Lernenden sind an drei bis vier Tagen die Woche in einem Lehrbetrieb. Dies kann ein Unternehmen aus der Industrie, eine Bank, ein Treuhandbüro, ein kantonales Amt, eine Gemeindeverwaltung oder sonst was sein. Dafür erhalten die Lernenden einen Lohn. Manchmal haben die Lernenden brachenspezifische Kurse. An einem bis zwei Tage sind die Lernenden in der Schule. Die Lehre kann mit der kaufmännischen Berufsmatura ergänzt werden, was den Absolvierenden die Möglichkeit gibt, an einer Schweizer Fachhochschule Wirtschaft und mit Einschränkungen an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten zu studieren.
Die Lehrabschlussprüfung erfolgt zweiteilig: Ein Teil ist betrieblich, ein Teil schulisch. Die schulische Prüfung ist in der ganzen Schweiz dieselbe und findet am gleichen Tag statt.
Die Integrationsleistung der Berufslehre ist hoch. Auch Jugendliche, welche eher praktisch orientiert sind, können einen guten Abschluss machen. Es gibt diverse attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten.

Diese Ausgangslage verändert zeitgemässes Lernen natürlich. Projektunterricht und Kompetenzorientierung sind eher nebensächlich und werden nur relativ selten gemacht. Denn im Betrieb und in den brachenspezifischen Kursern lernen die Lernenden ebendiese Dinge «in echt». Da macht es wenig Sinn, wenn auch die Schule versucht, die Realität zu imitieren.

Es ist allerdings immer wieder ein Problem, dass Lernende den theoretischen Hintergrund im konkreten Fall bspw. im Lehrbetrieb nicht erkennen und anwenden können. Hier könnten kleinere Projekte zur Anwendung sinnvoll sein. Ausserdem ermöglichen solche Projekte weitere Kompetenzen implizit zu üben. Auch die Bewertungsmöglichkeiten nehmen zu.

Zeitgemässes Lernen hat also vor allem das Ziel, den Lernenden zu helfen sich theoretisches Wissen für die kaufmännische Praxis aufzubauen und praktische Anwendungen aufzuzeigen. Dabei kann auf das betriebliche Alltagswissen zurückgegriffen werden. Etwa wann man Organigramme von Lehrbetrieben anschaut. Es kann Sinn machen, die praktischen Anwendungen noch vermehrt zu betonen.

Selbstverständlich bedingt zeitgemässes Lernen auch hier wieder moderne Infrastruktur und ideale Rahmenbedingungen.