Sonntag, 10. Mai 2020

Übrigens: Fernlernen geht auch frontal - Erfahrungen aus weiteren Wochen Fernunterricht

"Könnten wir einen Video-Call machen, bei welchem Sie die Theorie erklären und wir Fragen stellen können?" Diese Frage stellte mir eine Lernende schon vor den Ferien. Sie war mit diesem Wunsch nicht alleine. Zwar wurde immer wieder betont, dass die Lernvideos hilfreich seien, trotzdem gab es den Wunsch nach einem geführten Input.

Gut strukturierte und aufbereitete Inputs sind eine effiziente Form des Lernens, wenn es darum geht Orientierungswissen aufzubauen. Solches Wissen ist die Voraussetzung für kritisches Denken, oder das Finden kreativer Lösungen in komplexen Problemen.

Das Lernziel ist entscheidend für das Lernsetting

Gerade Lernende, die sich gut konzentrieren können, überraschenderweise häufig aber auch die anderen, mögen Lehrvorträge. Die Lernenden können dann nicht mehr arbeiten, wann sie wollen, sondern dann, wenn der Video-Call angesetzt ist. Asynchrones Lernen gilt als Hauptstärke von Fernunterricht und wird entsprechend propagiert, während Lehrervorträge - womöglich unter Einhaltung des Stundenplans - abgelehnt werden. Die Realität ist pragmatischer.

Entscheidend ist das Ziel, welches verfolgt wird. Dieses muss im Wesentlichen Allgemeinbildung bzw. Orientierungswissen sein, wobei dies durchaus in Form eines Lernproduktes, wie bspw. eines Lernvideos, eines Lernbuchs oder eines Gruppenarbeit sein kann  (mehr dazu hier oder hier). Teilweise wird argumentiert, dass Wissen unnötig sei, weil es im Internet stehe und das globale Wissen sich alle paar Stunden verdopple. Selbst wenn dies stimmen würde, wäre dies nichts Besonderes. Schon Sokrates wusste, dass er nichts weiss.
Das Internet ist eine gute Informationsquelle, wenn man schon viel weiss. Ähnlich wie ein Französisch-Wörterbuch nur hilft, wenn man die Sprache schon gut kann. Es spielt offensichtlich eine Rolle, ob ich sage "Sie haben ein schönes Sandwich im Wohnzimmer stehen" oder ob ich sagen, "Sie haben ein schönes Canapé im Wohnzimmer stehen". Präzises Faktenwissen ist weiterhin zentral. Halbwissen und thematische Beliebigkeit reichen in einer Welt des beschleunigten Strukturwandels nicht (mehr).

Und so hielt ich in den letzten drei Wochen mehrere frontale "Lektionen", ich sitze dann jeweils am Computer, teile den Bildschirm und schreibe ähnlich einer Wandtafel auf den Bildschirm. Wenn die Lernenden Fragen haben, können sie einfach das Mikrofon öffnen und los reden. Die Lernenden stellen meist wenige Fragen, erstellen dagegen häufig Screenshots oder machen Mitschnitte, welche sie immer wieder anschauen können. Die Teilnahme an diesen Inputs war grösstenteils freiwillig. Ich kann ohnehin nicht kontrollieren, ob jemand wirklich zuhört, oder sonst etwas macht.
Hingegen frage ich nach, wenn jemand bei einer obligatorischen Aufgabe oder einem obligatorischen Call abwesend war. Nicht als Kontrolle, sondern aus Interesse und um Kontakt halten zu können. Die Abwesenden sind typischerweise nicht diejenigen, bei denen alles bestens läuft.

Schule ermöglicht Lernen

Radikale Gegner frontaler Inputs dagegen glauben gar, mit solchen Settings würde die Schule die Kinder und Jugendlichen am Lernen hindern. Lernen wird von diesen Leuten als eine mehr oder weniger intensive Auseinandersetzung mit einem beliebigen Gegenstand verstanden. Die Lehrperson macht keine Vorgaben - dies wäre autoritär - sondern unterstützt einen nicht näher definierten Lernprozess. Dieses Denken gipfelt im Satz: "Mehr lernen, weniger Schule", welchen man in sozialen Medien immer wieder liest. In Anbetracht von Millionen von Kindern, die nicht zur Schule gehen und Lernen dürfen/können, ist dieser Satz peinlich und zynisch.

Es ist in einer Demokratie legitim zu fordern, dass die digitale Transformation der öffentlichen Schule mit thematischer Beliebigkeit, einhergehen soll. Aber man soll nicht so tun, als ob Digitalisierung nur dann "echt" sei, wenn sie mit thematischer Beliebigkeit kombiniert wird (mehr dazu hier oder hier).

Berufsmatura-Prüfungen abgesagt

Ansonsten ist die anfängliche Spannung des Fernunterrichts einer gewissen Routine gewichen. Die dominierende Frage der letzten Wochen war, ob die Berufsmatura-Prüfungen abgesagt werden und wie die Promotion laufen wird. Die schulischen Schlussprüfung der Fähigkeitszeugnisse wurden schon früher abgesagt.
Der Bund und der Kanton haben ferner beschlossen, dass alle Lernenden promoviert werden und dass man sich in diesem Semester nicht verschlechtern kann.

So müssen jetzt freiwillige Prüfungen unter Corona-Bedingungen organisiert werden. Und für Lernende, die ohne Schlussprüfung, nur mit Erfahrungsnoften nicht bestehen, muss eine Schlussprüfung organisiert werden.
Daneben ist es weiterhin eine Herausforderung den Kontakt zu den Lernenden zu halten (mehr dazu hier).

Modern formuliert: "Deren Lernen, (asynchron) zu begleiten."
Denn Lernbegleitung ist durchaus sinnvoll. Abhängig von den Lernzielen.

2 Kommentare:

  1. Die Betonung der Lernziele kann ich aus meiner Erfahrung nur unterstützen. Sie müssen jedoch gut formuliert und klar strukturiert sein, damit sie von den Lernenden als vollständige Checkliste für die Prüfungsvorbereitungen verwendet werden können. Solche Lernziele sind die entscheidende Voraussetzung für meinen nach dem Konzept des SOL gestalteten Unterricht.

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    1. Danke, genau so sehe ich SOL auch! (Habe den Kommentar erst jetzt gesehen)

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